18/10/21
Replik auf:
SRF Kultur
Zu wenig investigativ, zu laut, zu fokussiert auf den Einzelfall

Statt Debatte eine Kritik am einzelnen Projekt

Im Gespräch des SRF Kultur Talks befasst sich Monika Schärer mit dem Thema "Brian-Kunstprojekt: Ziel und Wirkung von aktivistischer Kunst" und wird damit auch Teil des Medientheaters #BigDreams.

Ihre eingeladenen Gäste waren Julia Reichert vom Theater Neumarkt (Koproduzentin von #BigDreams) und die Kunsthistorikerin und Kunstkritikerin Barbara Preisig, die unter anderem auch an der Zürcher Hochschule der Künste unterrichtet. Das Kollektiv #BigDreams wurde nicht zum Talk eingeladen, weil das Gespräch laut Abklärungen im Vorfeld die allgemeineren Fragen der Ethik und Verantwortung in der Kunst verhandeln wollte. Ihr Projekt sollte nur als Ausgangspunkt für weiterführende Diskussionen dienen. Unter dieser Prämisse nahm das Theater Neumarkt die Gesprächseinladung ohne #BigDreams an.

Tatsächlich aber drehte sich die Sendung aber fast ausschliesslich um #BigDreams und kaum um die vertiefte Auseinandersetzung mit “Ziel und Wirkung von aktivistischer Kunst”. Verantwortlich dafür war in erster Linie Barbara Preisig beziehungsweise ihr ästhetisches Empfinden, das offensichtlich von #BigDreams verletzt wurde. Diese Verletzung drängte sich im Gespräch immer wieder ins Zentrum, auch und besonders genau dann, wenn versucht wurde eine breitere Perspektive einzunehmen. Die Sendung bedeutet damit nicht nur eine verpasste Chance um sich kritisch mit politischer Kunst und ihren Herausforderungen, sondern auch eine implizite Weigerung sich mit den Inhalten von #BigDreams auseinanderzusetzen. Stattdessen wurde der privilegierten Sprechposition einer Kunstkritikerin eine Plattform geboten #BigDreams zu beurteilen und abzuwerten.

Preisig wirft dem Projekt mangelnde Tiefe vor und dass es ihr zu laut für Aktivismus sei. Investigative Anteile und mehr Informationen über Gefängnisse hätte sich Frau Preisig auch gewünscht und hat sich daran gestossen, dass dieses Projekt einen zu grossen Fokus auf Meinungsbildung lege. Man darf #BigDreams kritisieren, man darf das Projekt und die Initiative als schlechte Kunst bezeichnen. Doch für eine vertiefte Auseinandersetzung über aktivistische Kunst reicht das nicht aus. Frau Preisig meinte zu Beginn des Gesprächs, dass sie das Gefühl habe, nur einen Bruchteil der Inhalte von #BigDreams rezipiert zu haben. Das hält sie aber nicht davon ab in einer breit rezipierten Sendung zu urteilen und zu bewerten. Sowohl sie als auch Monika Schärer haben sich offensichtlich nur an der Oberfläche mit dem Projekt beschäftigt. Das zeigt sich deutlich darin, wie Inhalte falsch wiedergegeben und künstlerische Formate missrepräsentiert werden. Obschon mit Julia Reichert eine Gesprächspartnerin mit umfassenden Kenntnissen verfügbar gewesen wäre, wird ihr keine einzige inhaltliche Frage gestellt. Anstelle eines Austauschs über aktivistische Kunst entsteht eine Sendung, deren Agenda einzig auf die Abwertung und Kritisierung eines einzelnen Projekts abzielt. Dass aber die Kritisierten selber dazu nicht eingeladen wurden um Stellung zu nehmen, ist weder fair noch konstruktiv.

Problematische Deutungsmuster reproduziert

Zeitgenössische aktivistische Projekte bedienten sich Frau Preisigs Meinung nach einer stilleren Sprache als #BigDreams und erschafften so soziale Räume und Kollaborationen. Da mit Brian als Protagonist ein Mitglied des Kollektivs in Isolationshaft sitzt, ist genau diese Erschaffung eines Kunst-Save-Spaces offensichtlich nicht möglich. Es ist frappant wie im Gespräch ignoriert wird unter welchen repressiven Bedingungen Brian lebt oder aber wie seine aktive Beteiligung als Kollektivmitglied nicht ernst genommen wird. In beiden Fällen bedient sich Preisig bei dieser Kritik eines so bekannten wie fragwürdigen Deutungsmusters, das Brian als eigenständige Person herabsetzt und bevormundet sehen will.

Eindeutig problematische Deutungsmuster reproduziert Preisig spätestens, wenn sie von Brians “Kritzeleien” im Helmhaus redet. Eine Folge von Brians Haftbedingung ist die Verweigerung von Bildungs- oder Unterrichtsmassnahmen. Dass die Akademikerin und Hochschuldozentin Barbara Preisig ihr deutlichstes Missfallen über Brians "Kritzeleien" in dem zweiten Raum in der Helmhausausstellung verlautbart, ist nicht mehr nur zynisch, sondern eine bittere Form von struktureller Gewalt, der nicht nur Brian, sondern viele Menschen ausgesetzt sind: Klassismus. Frau Preisig behauptet Hochstatus gegenüber einem Häftling, dessen Handschrift sie nicht zu lesen bereit ist, und reiht sich damit in die Manier der Hasskommentare von Menschen auf Instagram ein, die Brian aufgrund seiner Handschrift nicht ernst nehmen, ihn beleidigen, entmenschlichen und entmündigen. Hätte sich Frau Preisig die Mühe gemacht Brians “Kritzeleien” zu lesen, hätte sie verstanden, dass es sich dabei nicht um Briefe handelt, wie sie mehrfach sagte. Es sind Vorlagen für den inszenierten Sprechakt im Raum und also solche klar von der Briefform unterscheidbar. Es ist besorgniserregend wie Frau Preisig sich einer vertieften Auseinandersetzung verweigert und mit ihren Aussagen, Abwertungen und der unreflektierten eigenen Sprechhaltung, die selbe menschenverachtende Sprache annimmt, die die politischen Gegner dieses Projekts seit Jahren als Status Quo etabliert haben.

Spanndende Fragen für eine Neuauflage - gerne mit #BigDreams

Monika Schärer und die verantwortliche Redaktion des SRF kündigten eine Debatte über “Ziel und Wirkung von aktivistischer Kunst” an. Tatsächlich produzierten sie aber eine Sendung, in der in einem elitären Rahmen Kunstkritik geübt und die privilegierte Sprechposition einer in ihrem ästhetischen Empfinden verletzten Einzelperson reproduziert wurde. Dass in diesem Zusammenhang wiederholt die Verantwortlichkeit des kritisierten Kunstprojekts in Frage gestellt wurde, mutet heuchlerisch an, zumal vom SRF bis heute keine verantwortungsbewusste Selbstreflexion der eigenen Rolle im “Fall Carlos” öffentlich wurde. Wenn es um die Verantwortung der Kultur geht, dann stellt sich die dringende Frage, welche Verantwortung das SRF selber bereit ist zu übernehmen. Bis heute gab es nie eine Entschuldigung für ihr mit rassistischen Stereotypen inszenierte Pseudonym “Carlos”, das überhaupt erst den BLICK auf den Plan gerufen hat. Warum wird ausgerechnet jetzt permanent Verantwortung und Sorgfalt von #BigDreams eingefordert, das Brian eine Stimme gibt und mit ihm zusammenarbeitet? Es wird aber nicht danach gefragt, welche Verantwortung wiederum die Leute tragen, die ihm seine Stimme nehmen wollen. Warum wurde die Frage nach Verantwortung von Medien, Justiz und Politik nicht schon vor acht Jahren gestellt, als das Sondersetting auf Druck medialer Öffentlichkeit abgebrochen wurde? Welche Verantwortung tragen die Politiker:innen, die seitdem mit ihren Entscheidungen zu der menschenverachtenden Haftsituation beigetragen haben, die von der UNO als Folter eingestuft wird? Warum wurde die Frage nach Verantwortung nicht gestellt, als Brian eine eigene Zelle gebaut wurde, um seinen Kontakt mit Menschen zu minimieren und ihn weiter zu isolieren? Warum wird jetzt ausgerechnet über die Ethik der Kunst gesprochen und nicht über die Ethik der Politik und Justiz? Warum muss sich Kunst immer wieder gegenüber einer Öffentlichkeit verteidigen? Weil sie vielleicht nach wie vor nicht selbstverständlich in der Demokratie verankert ist, sondern es immer noch Kräfte gibt, die Kunst als Gunst auslegen, die aber jederzeit wieder entzogen werden kann. Warum wird nicht die Interpellation diskutiert, die die SVP und EDU beim Gemeinderat Zürich beantragt haben, um Sanktionen zu verhängen und Kulturgelder zu streichen? Wieso hinterfragt eine Kunstkritikerin nicht, welche Sprechposition sie beim SRF gerade einnimmt und welcher Agenda ihre Perspektive dient?