28/10/21
Replik auf:
Apropos - Podcast TA
Grenzüberschreitungen zwischen Afrika und Zürich

Die Stimme der Vernunft

Liliane Minor spricht im Podcast “Apropos” mit Mirja Gabathuler über Brians Fall. Anlass dazu ist die Berufungsverhandlung vor dem Zürcher Obergericht, in der drei Ärzte der Psychiatrischen Universitätsklinik wegen Brians dreizehntägiger Zwangsfixierung vor rund zehn Jahren angeklagt sind. Im knapp zwanzig Minuten dauernden Gespräch rollen die beiden Journalistinnen Brians Fall noch einmal auf und Liliane Minor spricht über die heutige Ausgangslage und mögliche Zukunftsperspektiven.

Liliane Minor kennt Brians Fall wie wenig andere. Sie ist eine der Medienschaffenden, die Brian seit Jahren begleiten und sich immer wieder mit ausgewogener und kritischer Berichterstattung zu Wort gemeldet haben. Dass das Medientheater um Brian nicht vollends zur Schmierenkomödie ausartet, ist nicht zuletzt auch ihrer jahrelangen sorgfältigen Recherche, klaren Haltung und ihrem hartnäckigem Interesse zu verdanken.  Es ist ihr und damit auch dem Podcast “Apropos” hoch anzurechnen, dass es im Beitrag Der Fall Brian und die Grenzen des Schweizer Strafvollzugs gelingt, die Komplexität von Brians Fall zu vermitteln und eine kritische und informierte Diskussion zu ermöglichen. Besonders hervorzuheben ist ausserdem, dass Frau Minour wiederholt das strukturellen Missverhältnis im Konflikt zwischen der Einzelperson Brian und dem gesamten Justizsystem klar benennt und die öffentlichen Institutionen in die Pflicht nimmt. Ihre umfassende Kenntnis des Falles und ihre kritische Perspektive lassen Frau Minor im hitzigen Medienspektakel um Brian immer wieder als die Stimme der Vernunft erscheinen.

Zwischen Afrika und Zürich

Leider werden im Podcast aber auch Denkmuster reproduziert, die weniger reflektiert wirken. Wie in jedem Versuch Brians Fall in wenigen Minuten zusammenzufassen, musste auch hier eine knappe Auswahl getroffen werden. Die Auswahl von Apropos legt dabei einen Schwerpunkt auf Brians Kindheit. Unter Berufung auf einen sogenannten “Afrikakenner” wird erklärt dass Brian in einem kulturellen Konflikt zwischen “afrikanischer Grossfamilie” und “Zürcher Freigeist” erzogen worden sei. Es bleibt für die Zuhörenden aber unklar welche Bedeutung diesen Umständen beigemessen werden soll. Umso klarer aber ist, dass diese Ausführungen stereotype Ideen einer Inkompatibilität zwischen den wenig definierten kulturellen Entitäten "Afrika" und "Zürich" insinuieren. Im Gegenzug werden gewichtige Ereignisse aus Brians Kindheit ausgelassen, die vermutlich aufschlussreicher für die heutige Situation wären. Zum Beispiel Brians erste Verhaftung mit 10 Jahren oder die erste längere Isolationshaft mit 12 Jahren (vgl. Die Brian Chronik).  Wer, wenn nicht Liliane Minor ist mit den Ressourcen und dem Wissen ausgestattet um in Brians Fall Ursachenforschung zu betreiben? Doch es wäre vielleicht zielführender mehr in Zürich und weniger in Afrika zu suchen.

Grenzübertritte versus Gewalttätigkeit

Auf der einen Seite hat man den Justizvollzug und die psychiatrische Behandlung, da hat es Grenzübertritte gegeben (...) auf der andere Seite hat man Brian, der immer wieder und wiederholt gewalttätig wird (...)

An dieser Gegenüberstellung, die Mirja Gabathuler formuliert hat, wird deutlich, dass bei aller Kritik am Justizvollzug, bei Brian doch noch mit anderen Ellen gemessen wird. Brians Widerstand gegen seine Haftbedingungen ist ohne Zweifel gewaltförmig und wird (zurecht) auch als Gewalt bezeichnet. Doch die behördlichen Interventionen qualifizieren genauso als Gewalt, werden aber wahlweise als Fehler, Überforderung oder Grenzübertritt (sic) verharmlost. Dreizehn Tage Zwangsfixierung, Zwangsmedikation, gesetzeswidrige Inhaftierungen, anhaltende Isolationshaft und weitere Ausdrücke der “Überforderung” stellen objektiv massive Gewalt dar. Dass sie nicht als solche bezeichnet wird, bringt zum Ausdruck wie sehr die Gesellschaft bereit ist Gewalt zu leugnen, akzeptieren oder legitimieren, solange sie in Uniform, Amt und Würden ausgeübt wird.