11/10/21
Replik auf:
Landbote
Suggestion und Gretchenfragen

Der Landbote berichtete am 11. Oktober über SWISS QUALITY TORTURE auf dem Kirchplatz in Winterthur. Nach einer knappen Zusammenfassung der Ausgangslage kommt die Autorin ohne grosse Umschweife zur Gretchenfrage: Ist Brian selber schuld an seinen Haftbedingungen?

Aber, liebes Kollektivmitglied, hat Brian sich das nicht auch selbst zuzuschreiben?

Die Autorin des Artikels fragt zwar, macht aber zugleich klar, dass sie davon ausgeht, Brian sei selber verantwortlich. Wer Gretchenfragen so suggestiv stellt, könnte es auch sein lassen. Denn welche Haltung sich hinter dieser Frage tatsächlich verbirgt, lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Seitdem Brians Haftregime in der Öffentlichkeit mit zunehmender Vehemenz kritisiert wird - nicht zuletzt durch internationale Gremien - formiert sich Widerspruch gegen diese Kritik: Man habe halt keine andere Wahl. Brian verunmögliche selber, dass seine Haftbedingungen gelockert werden. Brian ist verantwortlich dafür, dass er seit mehr als drei Jahren in Isolationshaft sitzt.
In dieser Haltung liegt jedoch ein Paradox: Das Gewähren eines menschenwürdigen Vollzugs würde damit nämlich konditional. Je nach Situation liesse sich entscheiden, ob ein Regime den Menschenrechten entsprechend gestaltet werden kann - oder halt einfach nicht. Das Paradox liegt nun darin, dass Menschenrechte eben genau nicht konditional oder je nach Situation angewandt werden können. Sie gelten absolut.

In Brians Fall wurde und wird genau das allerdings in Frage gestellt. Und der Landbote reproduziert dieses Denkmuster, das medial schon mehrfach vorexerziert wurde, hier mustergültig: Brian ist selber schuld, und seine Menschenrechte muss er sich erst mal verdienen. Zugegeben: So viel Zynismus kann einen schon überfordern.

Klassiker der Verwirrung

Zum Schluss noch der Klassiker: Brian heisst Brian. Er ist eine Person mit einem Namen, einer Geschichte und dem Anspruch korrekt genannt und angesprochen zu werden. “Carlos” ist ein mit rassifizierten Stereotypen belastetes Pseudonym. Der Landbote scheitert glorios an dieser Differenzierung. Sogar in einem Satz, in dem genau diese Differenzierung besprochen wird.



Das Kollektiv will auf die seiner Ansicht nach menschenrechtsverletzende Unterbringung von Carlos aufmerksam machen. Sie nennen ihn Brian, denn aus dem (Medien-)Konstrukt Carlos soll wieder Brian werden. (...)
Denn «Schweizerische Qualitätsfolter» nennen sie, was mit Carlos geschieht.

Aber liebe Autorin, wäre es denn nicht die Verantwortung von Medienschaffenden, die Reproduktion von rassistischen Narrativen zu vermeiden? Achtung, Gretchenfrage. Aber suggestiv gestellt.