Die Neue Zürcher Zeitung meinte es ernst. Ihre Recherche umfasste drei Haftbesuche, diverse Gespräche mit den Beteiligten, stundenlanges Aktenstudium. Mit viel Aufwand und Sorgfalt versucht sie das, was für Nicht-Betroffene unfassbar scheinen mag, fassbar zu machen: Brians Situation in der Isolationshaft.
Was macht diese lange Isolation mit ihm? Antworten darauf geben Tagebucheinträge des jungen Mannes. Antworten geben aber auch Führungsberichte der JVA Pöschwies. Sie liefern Einblick in einen Ausnahmefall, in eine Pattsituation – zwischen Justiz und Häftling.
Brian kommt zu Wort, was in der bisherigen Berichterstattung – auch in früheren Beiträgen der NZZ – eher selten geschieht. Die NZZ räumt in diesem längeren Artikel seinen Schilderungen viel Platz ein und betont an einer Stelle sogar die Glaubwürdigkeit von Brians Schilderungen.
Eine andere Schilderung ist so detailreich, dass es schwerfällt, zu glauben, sie sei erfunden (…)
Man versucht zwischen den Schilderungen von Brian und den Behörden, die diametral auseinanderklaffen, abzuwägen. Beide Seiten werden angehört und keine vorschnellen Schlüsse getroffen. Brian wird ernst genommen und der Versuch, seine Situation objektiv wiederzugeben ist klar erkennbar. Stereotype Deutungsmuster im «Carlos» Kontext werden vermieden und Brian wird klar als komplexe individuelle Sprecherposition eingeordnet.
In der direkten Gegenüberstellung der Sprecherpositionen von Brian und den Behörden zeigen sich jedoch auch Unterschiede, die auf ein Machtgefälle bezüglich der Formalität (also des offiziellen Status) der archivierten Aussagen hinweisen. Dabei gilt eine unausgesprochene Grundannahme: Je «formaler» eine Aussage archiviert wird, desto «korrekter» und damit «glaubwürdiger» scheint die Aussage.
Die behördliche Position scheint mit einer amtlichen Maschinerie mit Protokollen, Aufzeichnungen etc. als objektiv gesichert. Demgegenüber erscheint Brians Perspektive ohne Formalisierung subjektiviert und – obschon von der NZZ in diesem Fall im Gegenteil erwähnt – ungesichert(er). Nur mit einem Stift und etwas Papier schreibt Brian seine Erfahrungen nieder. Den seitenstarken, detaillierten Schilderungen der Behörden, stehen einige handschriftliche Sätze aus Brians Tagebuch gegenüber. Zumindest auf rechtlicher Ebene bzw. im Gerichtsprozess haben seine Gegendarstellungen kaum Gewicht gegenüber der offiziellen Version, die sich auf die Macht des Staatsapparates abstützt. Diese Diskrepanz reproduziert die NZZ – wenngleich subtil - indem sie Brians Schilderungen kursiv und in Anführungszeichen, einem wuchtigen Block akribischer Gefängnisdokumentation mit Datum und Uhrzeit gegenüberstellt.
Wenn Sprache Realität schafft, dann gilt dies insbesondere in Brians Fall. Dokumentation in allen Formen bietet die diskursive Grundlage für Argumente, die Zuschreibung von Glaubwürdigkeit, was letztlich auch einen grossen Einfluss auf die Entscheidungsmacht der relevanten Akteure haben kann. Wer diese Macht hat und wie diese Macht konstruiert wird, muss auch Teil der öffentlichen Debatte sein - zu Brians Fall wie auch allgemein.