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#Critical Newsticker
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Die einseitige mediale Berichterstattung über Brian prägt bereits seit 2013 das öffentliche Meinungsbild entscheidend mit.

Allen voran die Schweizer Boulevardpresse machte mit ihrer reisserischen Berichterstattung aus Brian das Medienspektakel «Carlos» und damit wurde er zu ihrem Million Dollar Click Baby $$$.

#BigDreams nimmt mit dem Critical Newsticker eine kritische Gegenperspektive ein und bezieht Stellung zur aktuellen Berichterstattung rund um den Prozess am Zürcher Obergericht vom 26.5.2021.

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Replik auf:
20 Minuten
19/4/22
"Carlos" sells. Immer noch.

Buzzword ohne Zusammenhang

Man nehme den Fall eines jungen Mannes, der früh mit dem Gesetz, an der Schule, in Erziehungsinstitutionen in Konflikt geraten ist. Hochkomplex. Schwierig. Persönlich. Für die 20 Minuten in erster Linie eine Story, die Clicks verspricht: Gewalt, Tragik und ein Hauch von Skandal. Das Rezept ist bestens bekannt und hat im Fall der “Carlos”-Hetzkampagne nicht nur Menschenleben zerstört, sondern auch Millionen in die Kassen der verantwortlichen Medienhäuser gespült. Das ist auch der Redaktion der 20 Minuten nicht entgangen. Noch heute wird dankbar auf der Vorarbeit aus dem “Fall Carlos” aufgebaut. Ohne dass inhaltlich irgendein Zusammenhang besteht, titelt sie über einem komplett anderen Fall das Buzzword “Carlos”, stellt ein Bild von Brian dazu und hofft auf das nächste Million-Dollar-Clickbait-Baby.

(...)wird D.B. zweiter Fall Carlos?

Die Antwort auf diese unheilvolle Frage lautet also: Ja, wenn es nach der 20 Minuten geht schon. Denn eines sei hier klargestellt. “Carlos” und Brian sind keine Synonyme. “Carlos” ist ein Pseudonym, das fremdenfeindliche Ressentiments anspielt, und aufgeladen ist mit rassistischen Stereotypen. Der “Fall Carlos” ist ein Fall von medialer Skandalisierung, politischem Opportunismus und rassistischer Berichterstattung - auch von Medien der TX-Gruppe. Dass man bei 20 Minuten heute versucht, mit einem anderen Einzelschicksal an die gleichen Narrative anzuschliessen, liegt daran, dass sich manche Dinge nie ändern:

“Carlos” sells.
Boulevard doesn’t give a fuck.
Rassistisch und unreflektiert - damals wie heute.

Ps.: Doch der  “Fall Brian” ist ein Fall von Folter, Justizversagen und Menschenrechtsverletzungen und hat nichts mit “D.B.” zu tun. Dies wurde nach einer Intervention von Brians Anwalt auf der 20Minuten-Website richtiggestellt. Immerhin.

28/10/21
Grenzüberschreitungen zwischen Afrika und Zürich

Die Stimme der Vernunft

Liliane Minor spricht im Podcast “Apropos” mit Mirja Gabathuler über Brians Fall. Anlass dazu ist die Berufungsverhandlung vor dem Zürcher Obergericht, in der drei Ärzte der Psychiatrischen Universitätsklinik wegen Brians dreizehntägiger Zwangsfixierung vor rund zehn Jahren angeklagt sind. Im knapp zwanzig Minuten dauernden Gespräch rollen die beiden Journalistinnen Brians Fall noch einmal auf und Liliane Minor spricht über die heutige Ausgangslage und mögliche Zukunftsperspektiven.

Liliane Minor kennt Brians Fall wie wenig andere. Sie ist eine der Medienschaffenden, die Brian seit Jahren begleiten und sich immer wieder mit ausgewogener und kritischer Berichterstattung zu Wort gemeldet haben. Dass das Medientheater um Brian nicht vollends zur Schmierenkomödie ausartet, ist nicht zuletzt auch ihrer jahrelangen sorgfältigen Recherche, klaren Haltung und ihrem hartnäckigem Interesse zu verdanken.  Es ist ihr und damit auch dem Podcast “Apropos” hoch anzurechnen, dass es im Beitrag Der Fall Brian und die Grenzen des Schweizer Strafvollzugs gelingt, die Komplexität von Brians Fall zu vermitteln und eine kritische und informierte Diskussion zu ermöglichen. Besonders hervorzuheben ist ausserdem, dass Frau Minour wiederholt das strukturellen Missverhältnis im Konflikt zwischen der Einzelperson Brian und dem gesamten Justizsystem klar benennt und die öffentlichen Institutionen in die Pflicht nimmt. Ihre umfassende Kenntnis des Falles und ihre kritische Perspektive lassen Frau Minor im hitzigen Medienspektakel um Brian immer wieder als die Stimme der Vernunft erscheinen.

Zwischen Afrika und Zürich

Leider werden im Podcast aber auch Denkmuster reproduziert, die weniger reflektiert wirken. Wie in jedem Versuch Brians Fall in wenigen Minuten zusammenzufassen, musste auch hier eine knappe Auswahl getroffen werden. Die Auswahl von Apropos legt dabei einen Schwerpunkt auf Brians Kindheit. Unter Berufung auf einen sogenannten “Afrikakenner” wird erklärt dass Brian in einem kulturellen Konflikt zwischen “afrikanischer Grossfamilie” und “Zürcher Freigeist” erzogen worden sei. Es bleibt für die Zuhörenden aber unklar welche Bedeutung diesen Umständen beigemessen werden soll. Umso klarer aber ist, dass diese Ausführungen stereotype Ideen einer Inkompatibilität zwischen den wenig definierten kulturellen Entitäten "Afrika" und "Zürich" insinuieren. Im Gegenzug werden gewichtige Ereignisse aus Brians Kindheit ausgelassen, die vermutlich aufschlussreicher für die heutige Situation wären. Zum Beispiel Brians erste Verhaftung mit 10 Jahren oder die erste längere Isolationshaft mit 12 Jahren (vgl. Die Brian Chronik).  Wer, wenn nicht Liliane Minor ist mit den Ressourcen und dem Wissen ausgestattet um in Brians Fall Ursachenforschung zu betreiben? Doch es wäre vielleicht zielführender mehr in Zürich und weniger in Afrika zu suchen.

Grenzübertritte versus Gewalttätigkeit

Auf der einen Seite hat man den Justizvollzug und die psychiatrische Behandlung, da hat es Grenzübertritte gegeben (...) auf der andere Seite hat man Brian, der immer wieder und wiederholt gewalttätig wird (...)

An dieser Gegenüberstellung, die Mirja Gabathuler formuliert hat, wird deutlich, dass bei aller Kritik am Justizvollzug, bei Brian doch noch mit anderen Ellen gemessen wird. Brians Widerstand gegen seine Haftbedingungen ist ohne Zweifel gewaltförmig und wird (zurecht) auch als Gewalt bezeichnet. Doch die behördlichen Interventionen qualifizieren genauso als Gewalt, werden aber wahlweise als Fehler, Überforderung oder Grenzübertritt (sic) verharmlost. Dreizehn Tage Zwangsfixierung, Zwangsmedikation, gesetzeswidrige Inhaftierungen, anhaltende Isolationshaft und weitere Ausdrücke der “Überforderung” stellen objektiv massive Gewalt dar. Dass sie nicht als solche bezeichnet wird, bringt zum Ausdruck wie sehr die Gesellschaft bereit ist Gewalt zu leugnen, akzeptieren oder legitimieren, solange sie in Uniform, Amt und Würden ausgeübt wird.



Replik auf:
SRF Kultur
18/10/21
Zu wenig investigativ, zu laut, zu fokussiert auf den Einzelfall

Statt Debatte eine Kritik am einzelnen Projekt

Im Gespräch des SRF Kultur Talks befasst sich Monika Schärer mit dem Thema "Brian-Kunstprojekt: Ziel und Wirkung von aktivistischer Kunst" und wird damit auch Teil des Medientheaters #BigDreams.

Ihre eingeladenen Gäste waren Julia Reichert vom Theater Neumarkt (Koproduzentin von #BigDreams) und die Kunsthistorikerin und Kunstkritikerin Barbara Preisig, die unter anderem auch an der Zürcher Hochschule der Künste unterrichtet. Das Kollektiv #BigDreams wurde nicht zum Talk eingeladen, weil das Gespräch laut Abklärungen im Vorfeld die allgemeineren Fragen der Ethik und Verantwortung in der Kunst verhandeln wollte. Ihr Projekt sollte nur als Ausgangspunkt für weiterführende Diskussionen dienen. Unter dieser Prämisse nahm das Theater Neumarkt die Gesprächseinladung ohne #BigDreams an.

Tatsächlich aber drehte sich die Sendung aber fast ausschliesslich um #BigDreams und kaum um die vertiefte Auseinandersetzung mit “Ziel und Wirkung von aktivistischer Kunst”. Verantwortlich dafür war in erster Linie Barbara Preisig beziehungsweise ihr ästhetisches Empfinden, das offensichtlich von #BigDreams verletzt wurde. Diese Verletzung drängte sich im Gespräch immer wieder ins Zentrum, auch und besonders genau dann, wenn versucht wurde eine breitere Perspektive einzunehmen. Die Sendung bedeutet damit nicht nur eine verpasste Chance um sich kritisch mit politischer Kunst und ihren Herausforderungen, sondern auch eine implizite Weigerung sich mit den Inhalten von #BigDreams auseinanderzusetzen. Stattdessen wurde der privilegierten Sprechposition einer Kunstkritikerin eine Plattform geboten #BigDreams zu beurteilen und abzuwerten.

Preisig wirft dem Projekt mangelnde Tiefe vor und dass es ihr zu laut für Aktivismus sei. Investigative Anteile und mehr Informationen über Gefängnisse hätte sich Frau Preisig auch gewünscht und hat sich daran gestossen, dass dieses Projekt einen zu grossen Fokus auf Meinungsbildung lege. Man darf #BigDreams kritisieren, man darf das Projekt und die Initiative als schlechte Kunst bezeichnen. Doch für eine vertiefte Auseinandersetzung über aktivistische Kunst reicht das nicht aus. Frau Preisig meinte zu Beginn des Gesprächs, dass sie das Gefühl habe, nur einen Bruchteil der Inhalte von #BigDreams rezipiert zu haben. Das hält sie aber nicht davon ab in einer breit rezipierten Sendung zu urteilen und zu bewerten. Sowohl sie als auch Monika Schärer haben sich offensichtlich nur an der Oberfläche mit dem Projekt beschäftigt. Das zeigt sich deutlich darin, wie Inhalte falsch wiedergegeben und künstlerische Formate missrepräsentiert werden. Obschon mit Julia Reichert eine Gesprächspartnerin mit umfassenden Kenntnissen verfügbar gewesen wäre, wird ihr keine einzige inhaltliche Frage gestellt. Anstelle eines Austauschs über aktivistische Kunst entsteht eine Sendung, deren Agenda einzig auf die Abwertung und Kritisierung eines einzelnen Projekts abzielt. Dass aber die Kritisierten selber dazu nicht eingeladen wurden um Stellung zu nehmen, ist weder fair noch konstruktiv.

Problematische Deutungsmuster reproduziert

Zeitgenössische aktivistische Projekte bedienten sich Frau Preisigs Meinung nach einer stilleren Sprache als #BigDreams und erschafften so soziale Räume und Kollaborationen. Da mit Brian als Protagonist ein Mitglied des Kollektivs in Isolationshaft sitzt, ist genau diese Erschaffung eines Kunst-Save-Spaces offensichtlich nicht möglich. Es ist frappant wie im Gespräch ignoriert wird unter welchen repressiven Bedingungen Brian lebt oder aber wie seine aktive Beteiligung als Kollektivmitglied nicht ernst genommen wird. In beiden Fällen bedient sich Preisig bei dieser Kritik eines so bekannten wie fragwürdigen Deutungsmusters, das Brian als eigenständige Person herabsetzt und bevormundet sehen will.

Eindeutig problematische Deutungsmuster reproduziert Preisig spätestens, wenn sie von Brians “Kritzeleien” im Helmhaus redet. Eine Folge von Brians Haftbedingung ist die Verweigerung von Bildungs- oder Unterrichtsmassnahmen. Dass die Akademikerin und Hochschuldozentin Barbara Preisig ihr deutlichstes Missfallen über Brians "Kritzeleien" in dem zweiten Raum in der Helmhausausstellung verlautbart, ist nicht mehr nur zynisch, sondern eine bittere Form von struktureller Gewalt, der nicht nur Brian, sondern viele Menschen ausgesetzt sind: Klassismus. Frau Preisig behauptet Hochstatus gegenüber einem Häftling, dessen Handschrift sie nicht zu lesen bereit ist, und reiht sich damit in die Manier der Hasskommentare von Menschen auf Instagram ein, die Brian aufgrund seiner Handschrift nicht ernst nehmen, ihn beleidigen, entmenschlichen und entmündigen. Hätte sich Frau Preisig die Mühe gemacht Brians “Kritzeleien” zu lesen, hätte sie verstanden, dass es sich dabei nicht um Briefe handelt, wie sie mehrfach sagte. Es sind Vorlagen für den inszenierten Sprechakt im Raum und also solche klar von der Briefform unterscheidbar. Es ist besorgniserregend wie Frau Preisig sich einer vertieften Auseinandersetzung verweigert und mit ihren Aussagen, Abwertungen und der unreflektierten eigenen Sprechhaltung, die selbe menschenverachtende Sprache annimmt, die die politischen Gegner dieses Projekts seit Jahren als Status Quo etabliert haben.

Spanndende Fragen für eine Neuauflage - gerne mit #BigDreams

Monika Schärer und die verantwortliche Redaktion des SRF kündigten eine Debatte über “Ziel und Wirkung von aktivistischer Kunst” an. Tatsächlich produzierten sie aber eine Sendung, in der in einem elitären Rahmen Kunstkritik geübt und die privilegierte Sprechposition einer in ihrem ästhetischen Empfinden verletzten Einzelperson reproduziert wurde. Dass in diesem Zusammenhang wiederholt die Verantwortlichkeit des kritisierten Kunstprojekts in Frage gestellt wurde, mutet heuchlerisch an, zumal vom SRF bis heute keine verantwortungsbewusste Selbstreflexion der eigenen Rolle im “Fall Carlos” öffentlich wurde. Wenn es um die Verantwortung der Kultur geht, dann stellt sich die dringende Frage, welche Verantwortung das SRF selber bereit ist zu übernehmen. Bis heute gab es nie eine Entschuldigung für ihr mit rassistischen Stereotypen inszenierte Pseudonym “Carlos”, das überhaupt erst den BLICK auf den Plan gerufen hat. Warum wird ausgerechnet jetzt permanent Verantwortung und Sorgfalt von #BigDreams eingefordert, das Brian eine Stimme gibt und mit ihm zusammenarbeitet? Es wird aber nicht danach gefragt, welche Verantwortung wiederum die Leute tragen, die ihm seine Stimme nehmen wollen. Warum wurde die Frage nach Verantwortung von Medien, Justiz und Politik nicht schon vor acht Jahren gestellt, als das Sondersetting auf Druck medialer Öffentlichkeit abgebrochen wurde? Welche Verantwortung tragen die Politiker:innen, die seitdem mit ihren Entscheidungen zu der menschenverachtenden Haftsituation beigetragen haben, die von der UNO als Folter eingestuft wird? Warum wurde die Frage nach Verantwortung nicht gestellt, als Brian eine eigene Zelle gebaut wurde, um seinen Kontakt mit Menschen zu minimieren und ihn weiter zu isolieren? Warum wird jetzt ausgerechnet über die Ethik der Kunst gesprochen und nicht über die Ethik der Politik und Justiz? Warum muss sich Kunst immer wieder gegenüber einer Öffentlichkeit verteidigen? Weil sie vielleicht nach wie vor nicht selbstverständlich in der Demokratie verankert ist, sondern es immer noch Kräfte gibt, die Kunst als Gunst auslegen, die aber jederzeit wieder entzogen werden kann. Warum wird nicht die Interpellation diskutiert, die die SVP und EDU beim Gemeinderat Zürich beantragt haben, um Sanktionen zu verhängen und Kulturgelder zu streichen? Wieso hinterfragt eine Kunstkritikerin nicht, welche Sprechposition sie beim SRF gerade einnimmt und welcher Agenda ihre Perspektive dient?

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Landbote
11/10/21
Suggestion und Gretchenfragen

Der Landbote berichtete am 11. Oktober über SWISS QUALITY TORTURE auf dem Kirchplatz in Winterthur. Nach einer knappen Zusammenfassung der Ausgangslage kommt die Autorin ohne grosse Umschweife zur Gretchenfrage: Ist Brian selber schuld an seinen Haftbedingungen?

Aber, liebes Kollektivmitglied, hat Brian sich das nicht auch selbst zuzuschreiben?

Die Autorin des Artikels fragt zwar, macht aber zugleich klar, dass sie davon ausgeht, Brian sei selber verantwortlich. Wer Gretchenfragen so suggestiv stellt, könnte es auch sein lassen. Denn welche Haltung sich hinter dieser Frage tatsächlich verbirgt, lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Seitdem Brians Haftregime in der Öffentlichkeit mit zunehmender Vehemenz kritisiert wird - nicht zuletzt durch internationale Gremien - formiert sich Widerspruch gegen diese Kritik: Man habe halt keine andere Wahl. Brian verunmögliche selber, dass seine Haftbedingungen gelockert werden. Brian ist verantwortlich dafür, dass er seit mehr als drei Jahren in Isolationshaft sitzt.
In dieser Haltung liegt jedoch ein Paradox: Das Gewähren eines menschenwürdigen Vollzugs würde damit nämlich konditional. Je nach Situation liesse sich entscheiden, ob ein Regime den Menschenrechten entsprechend gestaltet werden kann - oder halt einfach nicht. Das Paradox liegt nun darin, dass Menschenrechte eben genau nicht konditional oder je nach Situation angewandt werden können. Sie gelten absolut.

In Brians Fall wurde und wird genau das allerdings in Frage gestellt. Und der Landbote reproduziert dieses Denkmuster, das medial schon mehrfach vorexerziert wurde, hier mustergültig: Brian ist selber schuld, und seine Menschenrechte muss er sich erst mal verdienen. Zugegeben: So viel Zynismus kann einen schon überfordern.

Klassiker der Verwirrung

Zum Schluss noch der Klassiker: Brian heisst Brian. Er ist eine Person mit einem Namen, einer Geschichte und dem Anspruch korrekt genannt und angesprochen zu werden. “Carlos” ist ein mit rassifizierten Stereotypen belastetes Pseudonym. Der Landbote scheitert glorios an dieser Differenzierung. Sogar in einem Satz, in dem genau diese Differenzierung besprochen wird.



Das Kollektiv will auf die seiner Ansicht nach menschenrechtsverletzende Unterbringung von Carlos aufmerksam machen. Sie nennen ihn Brian, denn aus dem (Medien-)Konstrukt Carlos soll wieder Brian werden. (...)
Denn «Schweizerische Qualitätsfolter» nennen sie, was mit Carlos geschieht.

Aber liebe Autorin, wäre es denn nicht die Verantwortung von Medienschaffenden, die Reproduktion von rassistischen Narrativen zu vermeiden? Achtung, Gretchenfrage. Aber suggestiv gestellt.



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Sonntagsblick
19/9/21
Pointe über Pointe

VertraulicheDokumente von Brian und #BigDreams veröffentlicht

Am Sonntag, 19.09.2021 betrat der SonntagsBlick erneut die Bühne des Medientheaters um Brians Fall. Doch obwohl die Massenmedien in diesem Stück wichtige Figuren sind, kam dieser Auftritt überraschend. Denn dem  SonntagsBlick ist in die Hände gefallen, was #BigDreams und Brian während Monaten geheim zu halten versuchten: Das vertrauliche Projektdossier, welches #BigDreams im Frühling öffentlichen Förderstellen zukommen liess.

«#Bigdreams, ein Medientheater in fünf Akten» steht im 19-seitigen Gesuchsdossier, das SonntagsBlick vorliegt.

#BigDreams bereitet mit ihren Veröffentlichungen den Medien die Bühne, doch Regie geführt hat diesmal eine Behörde. Und mit dem Verweis darauf, dass #BigDreams “in der Bubble” (sic!) ein offenes Geheimnis sei, setzt sich der Autor leichterhand darüber hinweg, dass hier vertrauliche Informationen weitergegeben wurden. Doch Fakt ist: Eine staatliche Institution hat vertrauliche Informationen über ein Kunstprojekt an die Presse weitergegeben.

Ein Sprecher Fehrs bestätigt die Summe gegenüber SonntagsBlick und sagt, dass man begrüsse, wenn die Kultur sich gesellschaftlichen Themen widme, wozu auch die Strafjustiz gehöre.

Die im Artikel portierte Haltung der zuständigen Behörden steht dabei in scharfem Kontrast zu ihren Bemühungen #BigDreams und deren Partner:innen unter Druck zu setzen. Die Justizbehörden haben 2014 schon einmal  ihr Amtsgeheimnis verletzt, um (ebenfalls im SonntagsBlick) gegen Brian eingesetzte Zwangsmassnahmen in der Öffentlichkeit zu rechtfertigen.



Pointen über Pointen

Die Aktion – böse Zungen reden von einer Mischung aus Schlingensief-Abklatsch und ZHDK-Diplomarbeit – liefert noch eine unfreiwillige Pointe: Sie wird mit 20'000 Franken von der kantonalen Fachstelle Kultur unterstützt

Dass das gleiche Departement zum einen #BigDreams fördert und gleichzeitig Brian foltert, ist richtig. Lustig finden darf das, wer will. Eine wirklich lustige Pointe liefert der Artikel– böse Zungen reden von einer Mischung aus Karasek-Abklatsch und Boulevardarbeit mit etwas mehr Fremdwörtern drin –  aber tatsächlich auch noch:


Brian ist im Interesse aller Beteiligten zu wünschen,dass er bei seiner künftigen Wiedereingliederung in die Gesellschaft von der Aktion profitiert. Und nicht bloss zum Maskottchen einer selbstreferenziellen Show wird.

Dass sich nun ausgerechnet der Blick um Brians Wohlergehen sorgt, ist so zynisch, dass einem das Lachen im Hals stecken bleibt. Die Behauptung in Brians Wohl und zu seinem Schutz zu handeln, deckt sich eins zu eins mit der Haltung des Justizvollzugs. Dass sich der SonntagsBlick und der Justizvollzug aus dem gleichen Argumentarium bedienen, ist im Medientheater um Brian die letzte Pointe, die einen schalen Nachgeschmack hinterlässt.


Ps.: Brian selber hat tatsächlich gelacht, als ihm dieser Satz am Telefon vorgelesen wurde. Er schickt liebe Grüsse.



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Nau.ch
8/7/21
Nau you are kidding me

Nau.ch legte Brians Briefe einer Grafologin vor, die seine Handschrift unter die Lupe nehmen soll. Aufgrund des Schriftbildes zieht die Grafologin Rückschlüsse auf Brians Persönlichkeit und weist ihm Attribute wie „überheblich“, „beschlagnahmend“ und „ichbezogen“ zu. Das sind Attribute die genau dem entsprechen, wie Brian medial als „Carlos“ dargestellt wurde und wird.

Anmassend und unseriös

Es ist höchst unwahrscheinlich, dass diese Schriftbildanalyse im Unwissen darum, um wessen Schrift es sich handelt, zustande gekommen ist. Daher ist es nicht erstaunlich, dass eine grafologische Einschätzung zu einem Schluss kommt, welcher schlicht die bereits zuvor gehaltene Meinung wiedergibt. Zudem sind grafologische Gutachten umstritten, da ihre Resultate nicht evidenzbasiert und methodisch intransparent sind. Abgesehen von anekdotischen Beweisen gibt es keinen konsistenten und nachvollziehbaren wissenschaftlichen Kanon, der insbesondere der „diagnostischen“ Anwendung von Grafologie eine Glaubwürdigkeit jenseits des „Barnum-Effekts“ zuspricht.

Strukturen vor Charakter

Durch die gesamte boulevardeske Hetzkampagne, die seit 2013 gegen „Carlos“ geführt wird, zieht sich ein Denkmuster wie ein roter Faden hindurch: Das Interesse wird auf die angeblichen Charaktereigenschaften des Menschen gerichtet, anstatt auf die Strukturen um den Menschen herum. Man masste sich an, über „Carlos“ Persönlichkeit zu urteilen anstatt sich über die Fakten seines Falles zu informieren. Insbesondere der Boulevard breitete trivialste und persönlichste Spekulationen aus, um diesen „Carlos“ als möglichst verkommen darzustellen.

Dieses problematische Denkmuster reproduziert auch die Grafologin. Ihr Erkenntnisinteresse beschränkt sich auf Brians Person und sie blendet in ihrer Einschätzung komplett aus, welche äusseren Einflüsse auf Brians Schriftbild einwirken könnten. Einmal mehr erweist es sich als fatal, dass es medial attraktiver und einfacher ist, reisserisch gegen eine Person vorzugehen anstatt kritisch gegen Strukturen.

Weglassen was nicht passt

Man kann Brians Handschrift herablassend als „nicht entwickelt“ bezeichnen. Oder man kann sich fragen, weshalb Brians Recht auf Bildung während Jahren missachtet worden ist. Oder welchen Einfluss drei Jahre Folterhaft auf das Schriftbild einer Person haben kann. Dieser Artikel sagt schlussendlich viel über das Medium und die zitierte Expertin aus, und nichts über Brians Persönlichkeit.

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20 Minuten
1/7/21
Woher die Solidarität? Woher der Hass?

20 Minuten erkennt und beschreibt richtig – auch wenn er abermals als Intensivtäter bezeichnet wird - , dass Brians Posts auf Instagram polarisieren. Solidarität und Unterstützung werden ebenso bekundet wie Kritik, Unverständnis und teilweise auch offener Hass.

(Oberflächliche) Instagram-Forensik

Den Autor treibt nun vor allem die Frage um, warum Menschen mit einem Straftäter mitfühlen. Auskunft gibt ihm dazu ein forensischer Psychiater namens Thomas Knecht. Weshalb genau dieser Psychiater eine relevante oder informierte Aussage bzgl. der Reaktion auf Brian Kellers Instagram Profil haben soll, bleibt offen.

«Es ist ein bekanntes Phänomen, dass Menschen mit einem Straftäter mitfühlen», sagt der Forensiker vom Psychiatrischen Zentrum Appenzell Ausserrhoden. Insgesamt nennt er drei mögliche Beispiele. Die ersten beiden Beispiele spielen in stereotype Narrative der grundsätzlichen Opposition gegenüber Staat und Gesellschaft. So gebe es gemäss Knecht Menschen, die eine Gemeinsamkeit mit Brian spüren, weil sie sich selbst in einer Aussenseiter-Situation befinden. Dann gebe es auch Personen, die eine Abneigung gegen Staatsgewalt haben und in ihm das Bild eines Polizeistaats sehen. So erhielte die Person die Eigenschaften eines Opfers.

Auch das dritte Beispiel (dessen Wortlaut wir bewusst nicht wiedergeben) reproduziert äusserst problematische, misogyne und patriarchale Argumentationslinien: Laut Knecht sei eine extreme und seltene Form der Solidarisierung, wenn Brian als starker Mann eine Faszination und eine sexuelle Anziehung insbesondere auf Frauen auslöst. Dass besonders Frauen als politische Subjekte nicht ernst genommen werden, ist ein bekanntes Deutungsmuster. Handlungen und Haltungen von FLINTQ+ Personen zu sexualisieren und abzuwerten hat nichts mit Psychiatrie zu tun, sondern nur mit Sexismus. Dass die 20 Minuten solche misogyne und patriarchale Aussagen überhaupt reproduziert, ist hochproblematisch.

Solidaritätsbekundungen (so wie Sozialverhalten allgemein) undifferenziert auf drei Ursachen zu verkürzen ist unhaltbar, unprofessionell und schädlich. Dies klammert vollkommen aus, dass Menschen einem politischen Zweck zustimmen können und darüber hinaus absolut in der Lage sind, komplexe Sachverhalte differenziert zu betrachten. Eine Solidaritätsbekundung ist nicht als Zustimmung zu Straftaten zu lesen. Es ist möglich, dass Personen auf Brians Fall und die Missstände solidarisch reagieren und dabei nicht von einem unbewussten psychischen Impuls gesteuert sind, während sie gleichzeitig Straftaten nicht gutheissen. Solidarität mit Brian nur mit (mit Verlaub – halbpatziger) forensischer Psychiatrie zu erklären, stellt die Handlungs- und Meinungsfähigkeit der Angesprochenen auf problematische Weise in Frage. Diese Personen werden so als angebliche Aussenseiter und Staatshasser abgetan. Brian wird indes auch nicht als politisches Subjekt erkannt, sondern wiederum als «Intensivtäter», der illegitimerweise über seine Situation klagt.

Woher kommt der Hass?

Diese Zeitung fragt woher die Solidarität kommt. Sie fragt aber nicht woher der Hass kommt.
Denn damit würde in den Fokus rücken, welche Konsequenzen die mediale Hetze und rassistische Stereotypisierung als «Carlos» bis heute haben. Folge-Fragen nach der journalistischen und ethischen Verantwortung der Medien in Brians Fall werden aber lieber vermieden.

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WOZ
17/6/21
Geschichte als Geschichten verstanden

Die WOZ beschreibt Brians Schicksal von Anfang an als eine Geschichte, die aus einem spezifischen Blickwinkel erzählt wird. Sie kritisiert wie einseitig dieser Blickwinkel und wie einfach diese Geschichte sei. Für sie liest sich das verbreitete Narrativ wie folgt:

Die Geschichte von Brian, vormals bekannt als «Carlos», wird gerne so erzählt: Er habe viele Chancen erhalten und keine genutzt. Schon als Kind renitent, habe er als jugendlicher Messerstecher die «Kuscheljustiz» verhöhnt – bis sich die Öffentlichkeit Gerechtigkeit verschaffte.

Damit wird in der WOZ anerkannt, dass sich der Fall „Carlos“ in erster Linie um mediale Profitgier, politischen Opportunismus und strukturellen Rassismus dreht und nur sekundär um die individuelle Situation eines jungen Mannes. Und nur so lassen sich die stereotypen Deutungsmuster in und um Brians Lebenslauf letztendlich durchbrechen; indem sie erkannt und benannt werden als das was sie sind: Geschichten. Narrative der Selbstbestätigung einer gewaltvollen Gesellschaft. Mythen der Selbstgerechtigkeit und Bequemlichkeit.

Der Spiegel „Carlos“

Danach wird Brians langer Weg durch die Institutionen nachgezeichnet. Es gelingt der WOZ anhand der Vorkommnisse der letzten 15 Jahre aufzuzeigen, worin das Versagen von Gesellschaft, Politik und Behörden in Brians Fall gelegen hat. Viel wichtiger als das benennen von konkreten Fehlern, ist die Perspektive die durch diese Nacherzählung eröffnet wird. Nämlich dass die Behörden allzu häufig nur Gewalt und Repression als Lösung kannten.

In der Zelle sitzt ein junger Mann im Kampfmodus, der Therapeuten, Aufseher, den Staat als seine Feinde betrachtet, sie beschimpft, bespuckt, bedroht. Ihm gegenüber steht ein hochgerüsteter Gefängnisapparat, der auf Brians Wut und Aggression mit brutalen Repressalien reagiert.

„Carlos“ ist nicht nur ein idealtypischer Gesellschaftsfeind, nein er ist auch das Spiegelbild ebendieser Gesellschaft, die gewalttätig, unbelehrbar und selbstgerecht ist. Und zwischen diesen identischen Fronten wird Brian bis heute aufgerieben.

Institutionelles Versagen

Die Situation ist verfahren. Auch vor Obergericht fühlte man sich nicht zuständig, zugunsten von Menschenrechten und der Verhütung von Folter einzuschreiten. Der WOZ-Artikel erkennt auch darin jedoch nicht einfach ein scheinbar auswegloses Dilemma, sondern fragt nach den Gründen und nach der Verantwortung.

Das Urteil wirft die unbequeme Frage auf: Wie einfach haben es sich Justiz und Gesellschaft bislang mit der Erzählung vom nicht resozialisierbaren Intensivtäter gemacht?

Die WOZ beschreibt den Fall „Carlos“ als das was er ist: Ein Ausdruck gesellschaftlicher Narrative von Staatsgewalt und Rassismus. Ventil für die Bedürfnisse einer an sich gewaltvollen Gesellschaft. Und nicht zuletzt Hinweis auf die nicht aufgearbeiteten strukturellen Defizite unserer demokratischen Organe in Rechtsstaat, Medien und Politik.

16/6/21
Warum heisst der Fall "Carlos"?

Der Radiobeitrag des SRF, der im Echo der Zeit zu hören war, ordnet gleich zu Beginn das heutige Urteil in den Kontext der Vergangenheit ein. Das ist richtig und wichtig zum Verständnis des Falles. Wenngleich der Titel des Beitrags Keine Verwahrung für „Carlos“ klar macht, dass man beim SRF noch immer von Brian und „Carlos“ in austauschbarer Abwechslung sprechen zu können meint.
Doch der erste Satz des Beitrags versucht dann richtig zu stellen:

Der Fall heisst Carlos, der Mann eigentlich Brian.

Im Anschluss aber wird summarisch nachgezeichnet, wie die öffentliche Empörung über diesen Fall „Carlos“ hochkochte, ohne die Rolle zu erwähnen, welche SRF und andere mediale Akteur:innen dabei inne hatten.

Unbequeme Wahrheiten

Eine bequeme Verkürzung aus der Perspektive des SRF, denn in dieser Rolle stecken bis heute bedeutsame unbequeme Wahrheiten. Die Empörung über Brians Sondersetting, die rassistischen Beleidigungen, die fremdenfeindlichen Stereotypen von Gewalt und Kriminalität gehen ursächlich auf die Art der Darstellung im SRF-Dokumentarfilm zurück. Und all dies wirkt bis heute weiter:
Dass Brian als dermassen gewalttätig, gefährlich und renitent gezeichnet und als solcher beurteilt (und verurteilt) wird, erklärt sich aus den rassistischen Deutungsmustern um „Carlos“. Dazu war von SRF bisher nichts zu hören, sehen oder lesen.

Vom SRF darf mehr erwartet werden

Dieser öffentlich-rechtliche Sender stand am Ursprung des medialen und politischen Mythos „Carlos“. Und dieser öffentlich-rechtliche Sender masst sich weiterhin an über Brian zu berichten, ohne seine eigene Rolle zu reflektieren. Diese Unschuldsmiene steht dem SRF nicht gut an. Angemessener wäre eine kritische Auseinandersetzung damit, wie man als Medium stereotype Deutungsmuster nicht reproduziert und rassistische Narrative nicht weiterverbreitet. Besonders nicht die, die man selber in die Welt gesetzt hat.

Replik auf:
nau.ch
16/6/21
Nau that makes three

Nau.ch erläutert kurz und knapp das Urteil, das heute am Obergericht Zürich eröffnet worden ist. Die Urteilsbegründung, das Urteil der Vorinstanz und die Stellungnahme der Parteien werden summarisch beleuchtet und das wars. Wenn da nicht der letzte Abschnitt wäre:

Brian ist für seine regelmässigen Ausraster bekannt. Erst kürzlich erklärte er in einem SRF-Interview, weshalb er seine Einzelhaft-Zelle zerstört hatte: «Was mir Kraft gibt, ist Wut, ist Aggression. (...) Wenn ihr wollt, dass ich verliere, dann müsst ihr mich umbringen.» Dort drin bekomme er Aggressionen, so der Häftling. Irgendwo müsse die Wut raus. «Ich schlafe jede Nacht nur drei, vier Stunden. Ich bin immer gereizt.»

Dieser Abschnitt bedient sich Zitaten aus einem SRF Interview, die so aus dem Kontext gerissen worden. Mit der Hervorhebung des Zitats «Wut gibt mir Kraft» und den darauffolgenden Sätzen wird Brian abermals als Person mit einer starken Gewaltaffinität dargestellt obschon die Haftumstände eigentlich Anlass zur differenzierten Auslegung emotionaler Reaktionen geben würden. Mit dem Schlusssatz «Ich bin immer gereizt» lässt nau.ch Brian zwar zu Wort; allerdings auch nur, um zu bestätigen, was nau.ch bereits andeutet. So gibt Brian hier schon fast selbst zu: Ich bin gewalttätig.

Nau will sein Million-Doller-Click-Baby behalten

Besonders stossend ist jedoch, dass ohne Zusammenhang  oder Notwendigkeit die Leser:innen daran erinnert werden, wie Brian über Jahre in den Medien dargestellt worden ist. „Carlos“ generiert bis heute Aufmerksamkeit und Clicks. Man scheint nicht bereit darauf zu verzichten, die Leser:innenschaft mit diesen verzerrten dafür aufregend skandalösen Narrativen zu bedienen. Dass der eigentliche Skandal in Brians Behandlung durch die Behörden liegt, ist offenkundig weniger attraktiv. Es ist ein Muster, welches nicht nur bei Nau.ch beobachtet werden kann. Die Aussicht darauf „Carlos“ weiterhin ausschlachten zu können, bedeutet dabei nichts anderes als Profit der Medien auf Kosten von Brian.

Replik auf:
20 Min
15/6/21
Ungenügendes Umdenken

In 20 Minuten war wie in einigen anderen Zeitungen zu lesen, dass die UNO wegen verletzter Menschenrechte in Brians Fall interveniere. Man gab sich dabei Mühe Brian und «Carlos» nicht durcheinander zu bringen. Der gewählte Ansatz um diese Klarheit herzustellen, ist jedoch nicht hinreichend.

Brian (früher bekannt als Carlos)

Die Abgrenzung zwischen Brian und «Carlos» kann nicht auf die Zeitlichkeit beschränkt bleiben. Wenn nicht berücksichtigt wird,dass mit «Carlos» Stereotypen und Vorverurteilungen einhergehen, die für Brian bis heute Konsequenzen haben, ist die Abgrenzung unzulänglich. Es ist einwesentlicher Unterschied ob eine Person unter einem Pseudonym lediglich «bekannt»war, oder ob sie diffamiert, rassistisch beleidigt und ohne rechtliche Grundlage in Haft genommenwurde.

By the way: "Carlos!"

Und jede Differenzierung ist ohnehin sinnlos, wenn man offenbar bemüht ist, die Leser:innenschaft daran zu erinnern, dass sie es hier immer noch mit «Carlos» zu tun hat. Ohne inhaltlichen Bezug zum Rest des Artikels, wird die Anekdote einer vandalisierten Tür eingestreut.

Die Strafbehörden verlegten BrianEnde Oktober 2020 in einen Spezialtrakt für gewaltbereite Häftlinge in derStrafanstalt Pöschwies, wo er schon am ersten Tag die Türe seiner Zelledemolierte. DieZelle kostete 1,85 Millionen Franken und sollte laut der Strafanstalteigentlich unzerstörbar sein.

Das Narrativ des gefährlichen und in diesem Fall noch übermenschlich starken Gewalttäters wird damit fast en passant noch einmal bekräftigt. Woher dieses Narrativ stammt und welche rassistischen und menschenverachtenden Bedeutungen es trägt, wurde offenbar nicht reflektiert. Medienschaffende scheinen sich ihrer Verantwortung in diesem Zusammenhang bewusst nicht durchgehend bewusst zu sein. «Carlos»ist ein rassistischer, medialer Mythos. Nicht mehr «Carlos» zu sagen, aber immer noch «Carlos» zu meinen, ändert an der fortgesetzten Stereotypisierung noch nichts.

Replik auf:
SRF
13/6/21
Wer ist hier für Folter zuständig?

Der Uno-Sonderberichterstatter Nils Melzer äusserte sich am Montag gegenüber den Medien erstmals öffentlich zu seiner Intervention in BriansFall. Die Haftbedingungen in denen Brian lebt bezeichnet er als unmenschlich und als Verstoss gegen die UNO Anti-Folter-Konvention.
Deshalb habe er beim EDA (Eidgenössisches Departement für auswärtigeAngelegenheiten) interveniert, das innert 60 Tagen Stellung nehmen wird. Bereits jetzt hat sich dafür aber das JuWe (Justiz und Wiedereingliederung KantonZürich) zu Wort gemeldet. Jenes Amt also, welches das kritisierte Haftregime entwickelt hat und bis heute aufrechterhält, weist alle Vorwürfe von sich und fühlt sich vorverurteilt.

Uno interveniert bei EDA wegen JuWe. NKVF wird aktiv.

Eingeschaltet wird nun sicherlich die NKVF (NationaleKommission zur Verhütung von Folter), die allerdings bereits 2018 die Verhältnisse in der JVA Pöschwies begutachtet hat. Dabei wurden lediglich Teile des Haftregimes bemängelt. Es ist also noch offen, was diese erneute Untersuchung tatsächlichbewirken wird. Wenn die UNO beim EDA in Bern wegen des JuWe in Zürich interveniert, soll also die NKVF danach noch einmal einen Bericht erstellen. Es scheint nicht ganz klar zu sein, wer hier dafür zuständig ist Foltervorwürfe zu untersuchen.

Trügerisches Selbstbild

Für das Szenario, dass in Schweizer Gefängnissen gefoltert wird, scheint man nicht vorbereitet zu sein. Der Vorwurf steht in einem fast empörenden Gegensatz zum Selbstbild der Schweiz als Hochburg der Menschenrechte. Dass Brians Vorwürfe fast 3 Jahre lang nicht beachtet wurden und er Tag für Tag dieser Isolationshaft ausgesetzt war und bleibt, ist der Preis für dieses trügerische Selbstbild.
Die Intervention der UNO bewirkte immerhin bereits, dass einige Medien darauf aufmerksam wurden. Die Vereinten Nationen können in der Schweiz zwar nicht eingreifen, aber immerhin leihen sie in Brians Situation eine Stimme, die gehört wird.

Weitere Berichte in NZZ, Watson, 20 Min:

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Sonntagsblick
30/5/21
Aus objektiv mach subjektiv

Der Sonntagsblick widmet einen kurzen Artikel dem Gutachten des IRCT (International Rehabilitation Council for Torture Victims), das zum Schluss kommt, dass Brians Haftsituation als Folter qualifiziert werden muss. Obwohl dies nicht üblich und gerade vom BLICK überraschend ist, wird dieser komplexe Sachverhalt jedoch auf kurze Zusammenfassungen und Schlussfolgerungen reduziert, die nicht dem Gutachten entsprechen.

Das 20-seitige Gutachten der beiden Forensiker liegt SonntagsBlick vor. Es protokolliert den Gefängnisalltag eines jungen Mannes, der vor allem eines ist: einsam.

Diese Schlussfolgerung ist grundsätzlich nicht «falsch». Es liegt im Wesen der Isolationshaft, dass sie Einsamkeit für die Betroffenen mit sich bringt. Mit dem Titel «Ich bin alleine», erhebt der Sonntagsblick den Aspekt der Einsamkeit zum Hauptthema der Zusammenfassung dieses Gutachtens. Was auf den ersten Blick naheliegend scheint, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als problematisch.

Aus objektiv mach subjektiv

Laut Gutachten muss andauernde Isolationshaft als Folter qualifiziert werden, da sie auf verschiedenen Ebenen auf die Betroffenen einwirkt. Monotonie, Reizentzug (sensorische Deprivation), örtliche und zeitliche Desorientierung, Kontaktverweigerung, die Abschottung von allen äusseren Einflüssen, sind Umstände die sich objektiv beschreiben lassen.
Die «Einsamkeit» ist ein subjektives Empfinden, das neben vielen anderen Effekten von Isolation, in den Betroffenen ausgelöst wird. Verkürzt man also ein Gutachten zu den Auswirkungen der Isolationshaft auf «Ich bin alleine» oder «einsam», wird aus einer objektiven Beschreibung ein subjektives Klagen. Dieses «Klagen» ist gegenüber öffentlicher wie auch staatlicher Kritik viel vulnerabler, als eine auf Expert:innen-Wissen basierte und angemessene Darstellung der Haftbedingungen.

Verengung der Perspektive

Zwar werden Brians Schilderungen im Artikel durchaus gewürdigt und auch das Fazit der Gutachter wird in diesem Zusammenhang erläutert. Doch durch die Vereinfachung auf das subjektive Empfinden der Einsamkeit, geht in der öffentlichen Debatte verloren, wie die Isolationshaft im Falle von Brian aber auch generell strukturell und systematisch höchstproblematische Auswirkungen nach sich zieht. Diese Perspektive ist notwendig, um weitreichendere (öffentliche) Debatten diesbezüglich führen zu können. Dabei geht es auch um kritische Fragen wie: Welche Verfügungen und Massnahmen der Behörden sind in Kraft um ebendiese – im Gutachten objektiv geschilderten – Umstände aufrecht zu erhalten?

Es wäre an dieser Stelle angemessen zu hinterfragen, ob solche Formen der institutionellen Gewalt gerechtfertigt sind. Stattdessen wird – wenn auch ein bisschen subtiler – ein altbekanntes Narrativ reproduziert: dass Brian – so wie es «Carlos» auch tat – sich einmal mehr «beklagt». Wir erinnern uns, welches Medium diesen BLICKwinkel auf strukturelle Mängel in Brians Fall etabliert hat.

26/5/21
Dokumentation schafft Realität und Glaubwürdigkeit

Eine faire, ernsthafte Sprecher-Position für Brian

Die Neue Zürcher Zeitung meinte es ernst. Ihre Recherche umfasste drei Haftbesuche, diverse Gespräche mit den Beteiligten, stundenlanges Aktenstudium. Mit viel Aufwand und Sorgfalt versucht sie das, was für Nicht-Betroffene unfassbar scheinen mag, fassbar zu machen: Brians Situation in der Isolationshaft.

Was macht diese lange Isolation mit ihm? Antworten darauf geben Tagebucheinträge des jungen Mannes. Antworten geben aber auch Führungsberichte der JVA Pöschwies. Sie liefern Einblick in einen Ausnahmefall, in eine Pattsituation – zwischen Justiz und Häftling.

Brian kommt zu Wort, was in der bisherigen Berichterstattung – auch in früheren Beiträgen der NZZ – eher selten geschieht. Die NZZ räumt in diesem längeren Artikel seinen Schilderungen viel Platz ein und betont an einer Stelle sogar die Glaubwürdigkeit von Brians Schilderungen.

Eine andere Schilderung ist so detailreich, dass es schwerfällt, zu glauben, sie sei erfunden (…)

Man versucht zwischen den Schilderungen von Brian und den Behörden, die diametral auseinanderklaffen, abzuwägen. Beide Seiten werden angehört und keine vorschnellen Schlüsse getroffen. Brian wird ernst genommen und der Versuch, seine Situation objektiv wiederzugeben ist klar erkennbar. Stereotype Deutungsmuster im «Carlos» Kontext werden vermieden und Brian wird klar als komplexe individuelle Sprecherposition eingeordnet.

Macht der Dokumentation

In der direkten Gegenüberstellung der Sprecherpositionen von Brian und den Behörden zeigen sich jedoch auch Unterschiede, die auf ein Machtgefälle bezüglich der Formalität (also des offiziellen Status) der archivierten Aussagen hinweisen. Dabei gilt eine unausgesprochene Grundannahme: Je «formaler» eine Aussage archiviert wird, desto «korrekter» und damit «glaubwürdiger» scheint die Aussage.

Die behördliche Position scheint mit einer amtlichen Maschinerie mit Protokollen, Aufzeichnungen etc. als objektiv gesichert. Demgegenüber erscheint Brians Perspektive ohne Formalisierung subjektiviert und – obschon von der NZZ in diesem Fall im Gegenteil erwähnt – ungesichert(er). Nur mit einem Stift und etwas Papier schreibt Brian seine Erfahrungen nieder. Den seitenstarken, detaillierten Schilderungen der Behörden, stehen einige handschriftliche Sätze aus Brians Tagebuch gegenüber. Zumindest auf rechtlicher Ebene bzw. im Gerichtsprozess haben seine Gegendarstellungen kaum Gewicht gegenüber der offiziellen Version, die sich auf die Macht des Staatsapparates abstützt. Diese Diskrepanz reproduziert die NZZ – wenngleich subtil - indem sie Brians Schilderungen kursiv und in Anführungszeichen, einem wuchtigen Block akribischer Gefängnisdokumentation mit Datum und Uhrzeit gegenüberstellt.

Wenn Sprache Realität schafft, dann gilt dies insbesondere in Brians Fall. Dokumentation in allen Formen bietet die diskursive Grundlage für Argumente, die Zuschreibung von Glaubwürdigkeit, was letztlich auch einen grossen Einfluss auf die Entscheidungsmacht der relevanten Akteure haben kann. Wer diese Macht hat und wie diese Macht konstruiert wird, muss auch Teil der öffentlichen Debatte sein - zu Brians Fall wie auch allgemein.

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26/5/21
Nau here we go again…

NOMEN EST OMEN…

Dinge beim Namen zu nennen ist vor Gericht nicht ganz einfach. Im Jurist:innen-Sprech haben Dinge andere Namen als sonst. Die Prozessparteien geben den Sachverhalten Namen, die ihrer jeweiligen Sichtweise entsprechen. In der Berichterstattung über den gestrigen Prozess nutzt Nau.ch dabei konsequent und hartnäckig eine spezifische, problematische Sichtweise: Brians Name wird gleich zu Beginn mit „Carlos“ gleichgesetzt. Danach gibt es nur noch „Carlos“. Konsequent. Hartnäckig.
Die vom Bezirksgericht angeordnete stationäre Massnahme wird ebenso konsequent mit „Therapie“ umschrieben. Brians Anwälte sprechen dagegen bei der gleichen Massnahme von „Folter“. Der Staatsanwalt - immerhin transparent und nicht beschönigend - direkt von „Verwahrung“. Nomen est Omen. Nau.ch konstruiert nun daraus den ersten Satz und zeitweiligen Titel des Artikels:

Brian alias «Carlos» will vor Obergericht erreichen, dass er keine Therapie machen muss.

Damit wird klargestellt, was in den Augen dieses News-Portals vor Obergericht geschieht. „Carlos“ will nicht einmal in die „Therapie“ , ist unbelehrbar, untherapierbar, undankbar. Diese Darstellung ist sowohl eine Verkürzung als auch eine Verzerrung und bedient die genau gleichen medial konstruierten und verbreiteten Deutungsmuster um den „Fall Carlos", die - here we go again – rassistisch sind, das öffentliche Meinungsklima zu Brians Ungunsten beeinflussen und eine faire, menschenwürdige Rechtsprechung erschweren.
Die Berichterstattung von Nau.ch zu diesem Prozess steht ausserdem vollständig unter dem Überthema „Fall Carlos“. Konsequent. Hartnäckig.

Die Dinge richtig benennen….

Abermals muss also klargestellt werden:
Brian ist nicht „Carlos“ und die beiden Bezeichnungen sind nicht synonym zu gebrauchen.
„Therapie" ist in diesem Zusammenhang ein Euphemismus. Besonders wenn man sich vor Augen führt, dass ebendiese „Therapie“ unter Haftbedingungen geschehen soll, die aus Sicht der UNO unter Folterverdacht stehen. Dies wird übrigens im Artikel nicht erwähnt, obwohl mehrere Stunden Plädoyer diesem Folterverdacht gewidmet wurden, was in den Beiträgen von anderen Medienschaffenden wohl Platz gefunden hat.

Zu guter Letzt: Als Textquelle dieses Artikels ist wieder die SDA ohne zusätzliches Autor:innen-Kürzel verzeichnet. Der Zusammenhang zwischen SDA, nau.ch hinsichtlich der Verbreitung von diesen Deutungsmustern wurde im Critical Newsticker bereit reflektiert.

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Tagesanzeiger
27/5/21
Fair und differenziert berichten ist möglich

Foltervorwürfe werden gewürdigt und erklärt

Die ersten längeren Artikel zum gestrigen Gerichtsprozess von Brian Keller tauchen bereits auf. Dabei fällt dieser Artikel des Tagesanzeigers hinsichtlich der Darstellung der verschiedenen Positionen wie auch Brian Kellers Perspektive positiv auf.
Die Foltervorwürfe von Brians Anwälten werden durchgehend im Artikel ernsthaft benannt und im Detail erklärt, so dass klar wird, dass es sich nicht um eine blosse Behauptung handelt, sondern um eine nachhaltige Beweisführung. Dies würdigt auch Brians Perspektive als ernst zu nehmende Position.

Brian bleibt Brian

Es finden sich weiter keine einschlägigen Bezeichnungen für Brian hinsichtlich des Sachverhaltes, die ihn mit den sonst dominanteren skandalisierenden Deutungsmuster und Konstruktionen in Verbindung bringen könnten. So wird Brian immer auch als Individuum Brian genannt. Einzig in der Ausführung der Sprecher-Position von Staatsanwalt Ulrich Krättli, wird Brian wieder als extrem gewaltbereit und unkooperativ dargestellt. Dies ist aber klar als Zitat des Staatsanwaltes ausgewiesen.

Es geht auch anders

Dieser Artikel birgt die Hoffnung, dass Journalist:innen sowie andere Medienschaffende den Mediendiskurs zu Brians Fall – wie auch ähnlichen justiz-relevanten Fällen – differenzierter gestalten können, wollen und werden. Diese Form der Berichterstattung trägt dazu bei, dass die bisherigen skandalisierenden und rassistischen Deutungsmuster dekonstruiert werden, was die öffentliche (so auch politische) Debatte um eine faire, menschenwürdige, diskriminierungsfreie Rechtsprechung dringend nötig hat.

  • Der Artikel befindet sich hinter einer Paywall. Es scheint sich zu bestätigen, dass Qualitätsjournalismus kostet...
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Tagesanzeiger
26/5/21
Meta Live-Tickern

Genau hinschauen

Im Prozesssaal sind einige Vertreter:innen der grösseren Schweizer Tages-aktuellen Medien vertreten. Die Journalist:innen übertragen möglichst in Echtzeit, meist in Form einer Zusammenfassung, die (ihres Erachtens) relevantesten Aussagen bzw. Argumente der Prozessparteien.
Dementsprechend bleiben diese Artikel noch weitgehend unkommentiert. Dies heisst allerdings nicht, dass sich nicht auch in der Auswahl der Zitate, Positionierung der Sprecher:innen und dem allgemeinen Wording bereits Hinweise auf spezifische Darstellungen und Deutungsmuster erkennen lassen.

Hidden Narratives

Der #bigdreams.ch Critical News Ticker Beitrag zum 20min.ch Live-Ticker kann hier auch als Beispiel fungieren, wie die scheinbar objektive Berichterstattung aufgrund von textspezifischen Entscheidungen und bereits existierenden medienübergreifenden Deutungsmuster und Narrative, spezifisch geframed sein kann.

Auch in den Live-Tickern der sogenannten Leitmedien lässt sich das erkennen, wenn auch subtiler.

Der Tagesanzeiger Newsticker (sowie die Newsticker der grösseren Tageszeitungen der Tamedia-Gruppe) dient derzeit vor allem als mehr oder weniger detailliertes Protokoll des Gerichtsprozesses.

Der Newsticker informiert aber auch zur Ausgangslage bzw. Vorgeschichte dieses Prozesses mit einer ganz eigenen Brian-Chronik, die auch auf die mediale Konstruktion von «Carlos» verweist.

In der Chronik wird an gewissen Stellen wiederum nicht klar, was nun als Zitat oder als vom Tagesanzeiger anerkannte Tatsache gilt.

Das Boulevardblatt skandalisiert damit einen zwei Tage vorher ausgestrahlten Dok-Film des Schweizer Fernsehens, der zeigt, wie Jugendanwalt Hansueli Gürber einen 17-Jährigen behandelt, den vorher keine Institution bändigen konnte.

Der Halbsatz «[…] den vorher keine Institution bändigen konnte» ist entweder ein nicht klar deklariertes Zitat oder abermals ein Teil der narrativen Konstruktion von «Carlos» als wilde Kreatur, die es eigentlich zu bändigen gilt.

But wait… es geht auch anders

Es findet auch eine Distanzierung von «Carlos» statt, da das Alias kaum gebraucht wird und Kernaussagen von und über Brian auf ihn als Brian verweisen. Im Newsticker sind auch die relevantesten Prozessakteure als Sprecher:innen vertreten, auch Brians Perspektive wird dargestellt.
Dies ist grundsätzlich nicht überraschend: die Hauptquelle dieser Live-Ticker sind die Aussagen im Prozess und die journalistische Aufgabe liegt genau darin, diesen möglichst mit den real-geäusserten Aussagen übereinstimmend wiederzugeben.

Es ist dennoch wichtig, sich auch mit den Live-Tickern kritisch auseinanderzusetzen. Zukünftige Artikel, Beiträge, Reprotagen beziehen sich unweigerlich auf die Inhalte dieser Live-Ticker. Sind Aussagen resp. Sichtbarkeiten nicht realitätsgetreu oder einseitig wiedergegeben, läuft der mediale Diskurs zu Brian Kellers Fall abermals Gefahr, durch undifferenzierte, reduzierende und schädliche Deutungsmuster letztlich rassistische und menschenunwürdige Haltungen in der Öffentlichkeit wie auch in der Rechtsprechung zu befeuern, anstatt zu dekonstruieren.

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20 Minuten
26/5/21
Anführungszeichen führen in die Irre

Questions of Quations

Wer Anführungszeichen braucht, zitiert resp. möchte klarstellen: „Das sage nicht ich, sondern jemand anderes.“ In der Regel.

Der heute beobachtete mediale Umgang mit Anführungszeichen, wenn es um Brian und/oder Bezeichnungen für Brian geht, weist abermals auf reduzierende und/oder rassistische Konstruktionen von Brian hin.

«Carlos» und Brian. Beide Namen werden synonym und scheinbar austauschbar in Teilen der aktuellen Berichterstattung verwendet. Dabei zieht Brian bzgl. der medialen Repräsentation seines Gerichtsprozesses gegenüber «Carlos» aufmerksamkeitsökonomisch klar den Kürzeren. Brian wird durch «Carlos» vor allem dann ersetzt, wenn abermals auf die (vermeintliche) Unbelehrbarkeit, auf den (vermeintlich) fehlenden Willen zur Kooperation und auf den (vermeintlichen) Hang zur Gewalt hingewiesen wird.

Diese Relation zwischen Brian und «Carlos» weist darauf hin, dass die Unschuldsvermutung zumindest in der medialen Auseinandersetzung dieses Falles nicht (genügend) respektiert wird, da das Individuum Brian nicht genügend vom rassistischen und verunglimpfenden Pseudonym «Carlos» getrennt wird.

Während in diesem Fall, der problematische Umgang und dessen negativer Effekt mit einer gewissen Klarheit nachgezeichnet werden kann, sieht es bei anderen Bezeichnungen für Brian etwas unklarer aus.

"Brian ist ein Extremfall“ - Der Intensivtäter Brian alias „Carlos“ steht am Mittwoch vor dem Zürcher Obergericht, weil er hinter Gittern Personal und Mitgefangene beschimpft und angegriffen haben soll.

Müssen bei rechtskräftig NICHT verurteilten Personen solche Bezeichnungen bzw. Pseudo-Urteile als Zitierung gekennzeichnet werden? Also mit Anführungszeichen?Die Antwort scheint klar. Ja. Sonst wird impliziert, dass das Urteil bereits steht. Aber wie geht hier der Newsticker von 20min.ch mit Anführungszeichen um? Die Beschreibung als Intensivtäter ist notabene nicht in Anführungszeichen. „Carlos“ wird zwar in Anführungszeichen gesetzt, jedoch durch ein ALIAS untrennbar mit Brian konjugiert. Brian, „Extremfall“, „Intensivtäter“, „Carlos“. Klarheit wäre hier gefragt.

Richtiggestellt sei darum an dieser Stelle:

„Extremfall“ ist ein Zitat des Staatsanwalts, der für Brian eine ungemein scharfe Verurteilung und präzedenzlose Anordnung einer Verwahrung verlangt.
„Carlos“ ist kein Alias von Brian, sondern ein rassistisches, stereotypes und irreführendes Pseudonym, mit dem Brian von Boulevardmedien verunglimpft wurde. „Carlos“ ist ein mediales, von Clickbait-Logik und kommerziellen Interessen geleitetes Narrativ von Gewaltbereitschaft, Renitenz und Gefährlichkeit. Es ist nicht mit Brian gleichzusetzen.
„Intensivtäter“ ist eine Bezeichnung, die im Zusammenhang mit der medialen Skandalisierung um „Carlos“ entstanden ist. Brian ist kein Intensivtäter. Er ist zwar als Jugendlicher straffällig geworden, in seinem Erwachsenenalter liegen aber keine rechtskräftigen Verurteilungen vor, die diese Bezeichnung rechtfertigen würden. Durch die Vermengung von Fakten, Fiktion und Diffamierung wird am herabsetzenden und diskriminierenden Narrativ von „Carlos“ weitergebaut. Die Geschichte vom gewalttätigen Schwarzen Körper, fremd in der Schweiz, undankbar schmarotzend und gefährlich für Land und Leute wird damit weiter kultiviert. Damit reproduziert die Prozessberichterstattung bislang eine letztlich rassistische Haltung unserer Gesellschaft gegenüber „Carlos“: Zu stark, zu schwierig, zu Schwarz.

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Nau.ch
26/5/21
Nau look at this!

Nau, BLICK und SDA

Das Online-News Portal Nau.ch hat ebenfalls mehrere Beiträge zu Brians Gerichtsprozess publiziert. Über Nau.ch werden problematische, skandalisierende und reduzierende Deutungsmuster bzgl. Brian und seiner Gerichtsprozess verbreitet.

Irreführender Titel

Sucht jemensch nach Artikeln zu Brian, verspricht vor allem sein Synonym «Carlos» Erfolg. Die aktuellen Artikel werden oben angezeigt. Ein Artikel ist mit «Brian Keller schwänzt Prozess vor dem Zürcher Obergericht» betitelt. Eine klar click-bait artige, irreführende, nicht dem Sachverhalt entsprechende Betitelung, die Brian Keller schon zu Beginn als unbelehrbaren, unkooperativen Straftäter darstellt.

Der Klick auf den Titel führt zum eigentlichen Artikel. Dort ist der Titel aber abgeändert worden: Der Artikel heisst hier: «Zürcher Obergericht: Brian K. erscheint nicht am Prozess». Diese Betitelung rückt zwar näher an den tatsächlichen Sachverhalt, impliziert aber dennoch eine Form der ungerechtfertigten Verweigerung gegenüber rechtlichen Prozessen seitens Brian Keller.

Fragliche Quellenlage bei fast identischen Beiträgen von Nau.ch und BLICK

Ein zweiter Artikel von Nau.ch fällt nicht nur durch problematische Inhalte auf. Der Inhalt dieses Artikels ist praktisch identisch mit dem des BLICK Beitrags. Bei beiden Artikeln wird auf die SDA (Keynote Schweizerische Depeschenagentur) als (Teil-)Quelle hingewiesen. Beim Blick Artikel wird zusätzlich ein Autor:innen-Kürzel angegeben, was beim nau.ch Artikel nicht ersichtlich ist.

Dieser Umstand wirft u.a.eine zentrale, kritische Frage auf:

Welche Instanz (SDA oder Journalist:innen der jeweiligen Medienorganisationen) ist für diese spezifische Darstellung bzw. für diese spezifische Wort- wie auch Framing-Wahl zuständig resp. verantwortlich?

Eine klare Quellendeklaration ist nicht nur eine Frage der gesellschaftsrelevanten, journalistischen Qualität. Um nachvollziehen zu können, von welchen öffentlichkeits-relevanten Akteuren welche Deutungsmuster gesponsert und/oder verbreitet werden, müssen Text- resp. Sprecher-Quellen deutlich zuschreibbar sein.

Dass dieser spezifische, sehr problematische Text in zweierlei Medienorganisationen mit ungleicher Quellenlage vorkommt, sollte als Zeichen der Vorsicht und Achtsamkeit gegenüber der Verbreitung von Frames zum Fall Brian Keller gedeutet werden. Dies ist ein Beispiel der unkritischen, undifferenzierten und unkommentierten medialen Konstruktion und Reproduktion von Brian Keller als gefährlicher und renitenter Straftäter.

Replik auf:
REPUBLIK
26/5/21
UNO-Sonderberichterstatter interveniert wegen Menschenrechtsverletzungen

UNO und ICRT sind besorgt

UNO-Sonderberichterstatter Nils Melzer hat sich laut der Republik in das Verfahren eingeschaltet. Es geht dabei um die Bedingungen der Isolationshaft, denen Brian seit Jahren ausgesetzt ist. Diese seien laut seinem Anwalt Philip Stolkin menschenunwürdig, erniedrigend, verboten - kurzum Folter. In der Republik lässt sich der Sonderberichterstatter Melzer folgendermassen zitieren.

Es gibt genügend Anhalts­punkte für eine Intervention. Es stellen sich ernsthafte menschen­rechtliche Fragen, und ich werde daher beim Schweizer Aussen­minister offiziell weitere Abklärungen verlangen.

Neben der UNO meldet sich ausserdem der International Rehabilitation Council for Torture Victims (IRCT) zu Wort. Der Dachverband zur Unterstützung von Folteropfern beklagt, dass internationale Mindeststandards verletzt würden und das Vorgehen der Behörden und illegal sei.

Mit Blick auf die aktuelle Prozessberichterstattung fällt auf, dass diese namhaften Interventionen zu Beginn der Berichterstattung kaum Erwähnung fanden. Verschiedene Liveticker haben den UNO-Sonderberichterstattung nachträglich zitiert. Bisher fokussiert sich die auch medial übertragene Diskussion vor Allem auf die von Brian ausgehende Gewalt. Das Argument, dass die Haftbedingungen, in denen er lebt, jedoch ihm gegenüber gewaltvoll und menschenunwürdig sind – was sich durch die Präsenz des UNO-Sonderberichterstatters Nils Melzer als höchstrelevant abzeichnet - scheint wenn dann eher nur im Sinne der Prozessübersicht relevant.

Replik auf:
BLICK
26/5/21
Der immer gleiche BLICK auf Brian

Altbekanntes Framing

Brians Fall geriet vor allem durch die skandalisierende Konstruktion und Reproduktion des Falls «Carlos» in die massenmediale Öffentlichkeit. Dieses Framing wurde hauptsächlich von der Boulevardzeitung «Blick» verbreitet. Das Resultat dieser problematischen Deutungsmuster lässt sich (auch nach Auffassung von Rechts- wie Medienexpert:innen) in der dominant negativen öffentlichen Meinung zum Fall und der Rechtsprechung zu Lasten von Brian abgelesen werden.

Der BLICK nutzt auch in diesem neuesten Artikel altbekannte Deutungsmuster, trotz der mehrfachen, öffentlichen Kritik gegenüber dieser Form der Berichterstattung.

Die BLICK Repräsentation von Brian Keller

Dominant sind zwei Themen bzgl. Brian: die (nur) von ihm ausgehende Gewalt sowie die Frage nach einem Therapiebedürfnis.

Die relative kurze Abhandlung dieser beiden Themen zeigt eine gängige, dem Blick typische Darstellung von Brian. In jedem Absatz finden sich Begriffe, Nomen und Adjektive, die Brian deutlich als unkontrollierbare Gefahr und unverbesserlicher Straftäter konstruieren.

Seine psychische Gesundheit wird auf ein «wesenhaftes» Defizit reduziert: Durch die Nennung einer negativen Auffälligkeit in Brians Kindheit, wird impliziert, dass Gewalt schon länger ein Problem für/von Brian war.

Ungleich verteilte Sprecher:innen-Positionen

Allgemein finden sich im Artikel keine deutlichen oder differenzierten Sprecher:innen-Positionen. Während aber Brian als Objekt im Artikel viel Raum findet, wird ihm kaum eine differenzierte Subjektposition geboten. Seine Perspektiven bzgl. des vor Gericht diskutierten Sachverhalts wird kaum wiedergegeben. Brians rechtliche Vertretung wie auch die staatsanwaltschaftliche Position sind sichtbar – allerdings (sicherlich auf Grund der Kürze des Artikels) nur oberflächlich.

Dieser Artikel überrascht also inhaltlich nicht. Trotzdem ist es fundamental wichtig, diesen Stil der Berichterstattung konstant und sichtbar zu kritisieren. Wie bereits von mehreren relevanten Akteuren aufgezeigt, kann die konstante Reproduktion solcher undifferenzierten und skandalisierenden Deutungsmuster eine differenzierte, nachhaltige öffentliche Debatte sowie eine faire, menschenwürdige Rechtsprechung verhindern.