26/5/21
Replik auf:
20 Minuten
Anführungszeichen führen in die Irre

Questions of Quations

Wer Anführungszeichen braucht, zitiert resp. möchte klarstellen: „Das sage nicht ich, sondern jemand anderes.“ In der Regel.

Der heute beobachtete mediale Umgang mit Anführungszeichen, wenn es um Brian und/oder Bezeichnungen für Brian geht, weist abermals auf reduzierende und/oder rassistische Konstruktionen von Brian hin.

«Carlos» und Brian. Beide Namen werden synonym und scheinbar austauschbar in Teilen der aktuellen Berichterstattung verwendet. Dabei zieht Brian bzgl. der medialen Repräsentation seines Gerichtsprozesses gegenüber «Carlos» aufmerksamkeitsökonomisch klar den Kürzeren. Brian wird durch «Carlos» vor allem dann ersetzt, wenn abermals auf die (vermeintliche) Unbelehrbarkeit, auf den (vermeintlich) fehlenden Willen zur Kooperation und auf den (vermeintlichen) Hang zur Gewalt hingewiesen wird.

Diese Relation zwischen Brian und «Carlos» weist darauf hin, dass die Unschuldsvermutung zumindest in der medialen Auseinandersetzung dieses Falles nicht (genügend) respektiert wird, da das Individuum Brian nicht genügend vom rassistischen und verunglimpfenden Pseudonym «Carlos» getrennt wird.

Während in diesem Fall, der problematische Umgang und dessen negativer Effekt mit einer gewissen Klarheit nachgezeichnet werden kann, sieht es bei anderen Bezeichnungen für Brian etwas unklarer aus.

"Brian ist ein Extremfall“ - Der Intensivtäter Brian alias „Carlos“ steht am Mittwoch vor dem Zürcher Obergericht, weil er hinter Gittern Personal und Mitgefangene beschimpft und angegriffen haben soll.

Müssen bei rechtskräftig NICHT verurteilten Personen solche Bezeichnungen bzw. Pseudo-Urteile als Zitierung gekennzeichnet werden? Also mit Anführungszeichen?Die Antwort scheint klar. Ja. Sonst wird impliziert, dass das Urteil bereits steht. Aber wie geht hier der Newsticker von 20min.ch mit Anführungszeichen um? Die Beschreibung als Intensivtäter ist notabene nicht in Anführungszeichen. „Carlos“ wird zwar in Anführungszeichen gesetzt, jedoch durch ein ALIAS untrennbar mit Brian konjugiert. Brian, „Extremfall“, „Intensivtäter“, „Carlos“. Klarheit wäre hier gefragt.

Richtiggestellt sei darum an dieser Stelle:

„Extremfall“ ist ein Zitat des Staatsanwalts, der für Brian eine ungemein scharfe Verurteilung und präzedenzlose Anordnung einer Verwahrung verlangt.
„Carlos“ ist kein Alias von Brian, sondern ein rassistisches, stereotypes und irreführendes Pseudonym, mit dem Brian von Boulevardmedien verunglimpft wurde. „Carlos“ ist ein mediales, von Clickbait-Logik und kommerziellen Interessen geleitetes Narrativ von Gewaltbereitschaft, Renitenz und Gefährlichkeit. Es ist nicht mit Brian gleichzusetzen.
„Intensivtäter“ ist eine Bezeichnung, die im Zusammenhang mit der medialen Skandalisierung um „Carlos“ entstanden ist. Brian ist kein Intensivtäter. Er ist zwar als Jugendlicher straffällig geworden, in seinem Erwachsenenalter liegen aber keine rechtskräftigen Verurteilungen vor, die diese Bezeichnung rechtfertigen würden. Durch die Vermengung von Fakten, Fiktion und Diffamierung wird am herabsetzenden und diskriminierenden Narrativ von „Carlos“ weitergebaut. Die Geschichte vom gewalttätigen Schwarzen Körper, fremd in der Schweiz, undankbar schmarotzend und gefährlich für Land und Leute wird damit weiter kultiviert. Damit reproduziert die Prozessberichterstattung bislang eine letztlich rassistische Haltung unserer Gesellschaft gegenüber „Carlos“: Zu stark, zu schwierig, zu Schwarz.